Autoritäre Politik entblößt sich selbst

Vergangene Woche erhielt ich gleich zwei Bußgeldbescheide. Mein „Vergehen“: Ich war montagabends in der Stadt unterwegs. Das wird als untersagte Teilnahme „an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug“ bezeichnet.

Wie schon bei der Gurtpflicht, entblößt sich hier die Politik als offensichtlich autoritär. Der Sicherheitsgurt soll einen vor sich selbst schützen. Wer ohne Gurt fährt, der gefährdet nur sich selbst. Trotzdem verbietet die Gurtpflicht dieses Risiko einzugehen. Und das, obwohl das Tragen eines Sicherheitsgurtes durchaus auch mal nach hinten losgehen kann.

Und die Gurtpflicht ist nicht die große Ausnahme. Es gibt z.B. auch die Pflicht, sein Fahrzeug beim parken im öffentlichen Raum abzuschließen, um beim Auto zu bleiben. Auch hier will man den Bürger vor sich selbst schützen, davor dass ihm etwas gestohlen wird.

Das ist autoritäre Bevormundung. Es gibt keinen anderen Grund als den, dass man glaubt, die Menschen erziehen zu müssen. Erwachsene Menschen, wohlgemerkt.

Leider bleibt autoritäre Politik heute nicht bei der Verkehrspolitik stehen. Man beschneidet so zentrale Freiheitsrechte wie die Meinungsäußerung.

Schon die ganze Politik zur Einschränkung von „Fake News“ war und ist nichts anderes als eine verkappte Zensur. Angeblich soll man vor falschen Informationen geschützt werden. Obwohl man damit nur sein eigenes Weltbild gefährden könnte, soll man nicht mehr selbst entscheiden, was und wem man glauben mag. Die „falsche“ Information soll der Bürger gleich gar nicht vorfinden. So kann man sich nur noch das „richtige“ Bild machen. Das ist schon autoritär par excellence. Dass sich angebliche falsche Informationen immer wieder als richtig erweisen, führt diese Politik nebenbei noch ad absurdum.

Das Argument, zu viele Fehler würden die Gesellschaft insgesamt gefährden ist so allgemein, dass man es für jede beliebige autoritäre Politik heranziehen kann. Gerade deshalb ist dieses Argument kein Argument gegen meine These autoritärer Politik. Wer so argumentiert, hat die Idee der Freiheit bereits aufgegeben und landet unweigerlich genau dort: Bei autoritärer Politik.

Mit dem Untersagen von Spaziergängen wird diese autoritäre Politik endgültig entblößt. Während politisch unerwünschte Demonstrationen mit dem Argument des Infektionsschutzes untersagt bleiben, hebt man für politische gewollte Demonstrationen – zur Zeit zum Ukrainekrieg – Auflagen zum Infektionsschutz auf und begründet das sogar mit moralischer, politischer Notwendigkeit. Damit lässt man das Mäntelchen der Fürsorge vollends fallen. Was bleibt ist nackte Autoritätspolitik.

Offensichtlich will man eine politische Agenda mit autoritären Mitteln durchsetzen und die Meinung politisch anders denkender Menschen unterdrücken. Anders gesagt ist das politische Verfolgung. Die Bußgeldbescheide sollte ich wohl gut aufbewahren. Vielleicht kann ich damit noch mal irgendwo politisches Asyl bekommen.

Gurtpflicht, Impfpflicht und das Trolley-Problem

Ich kenne das Weichensteller-Dilema (im Englischen als trolley problem bekannt) seit meiner Jugend als abstraktes Gedankenspiel und Beispiel für ein ethisches Dilema. Erst viel später ist mir klar geworden, dass dieses Dilema in vielen Entscheidungen versteckt ist, die wir tatsächlich treffen.

Bei der Debatte um die Verantwortung bei möglichen Unfällen von autonom fahrenden Autos, wurde mir der Zusammenhang zuerst bewusst. Die Funktionsweise und Entscheidungsstruktur autonom fahrender Autos ist allerdings so komplex, dass ein direkter Vergleich mit dem Weichensteller-Dilema schwer fällt. Durch die Diskussion um eine Impfpflicht gegen COVID-19 erscheint mir die Parallele nun klar und deutlich.

Ein Zug fährt auf eine Gruppe Menschen zu und kann nicht mehr gestoppt werden. Soll der Weichensteller den Zug umleiten und damit die größere Anzahl Menschen auf dem Gleis der ursprünglichen Zugroute retten, aber dabei eine kleinere Anzahl anderer Menschen opfern?

Schematische Darstellung des Weichensteller-Problems von McGeddon, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Bei der Gurtpflicht haben wir ein im Prinzip das gleiche Dilema. Auf den ersten Blick schützt der Sicherheitsgurt vor schweren Verletzungen, bis hin zum Tod. Statistisch und logisch ist das ganz sicher so. Es ist aber unbestreitbar, dass der angelegte Sicherheitsgurt in einigen Fällen zu schwereren Verletzungen führt. Unser Physiklehrer erzählte uns am Technischen Gymnasium, dass er sich in einem Unfall wegducken konnte, weil er nicht angeschnallt war. Es gibt auch Berichte, bei den Unfallopfer aus dem Auto geschleudert wurden und überlebten, weil sie nicht angeschnallt waren. In solchen Fällen hätte der Unfall angeschnallt tötlich sein können. Bei tausenden von Autounfällen treten auch diese seltenen Fälle zweifellos tatsächlich ein.

Bei der Gurtpflicht, entscheidet sich der Gesetzgeber also klar für das Umstellen der Weiche. Obwohl, das Gurt-Problem hier noch etwas anders gelagert ist, als das Weichensteller-Problem: Die Menschen auf den Gleisen können nicht auswählen. Beim Sicherheitsgurt kann sich dagegen jeder selbst entscheiden, welches Risiko er eingehen will. Da ist es unverständlich, warum man mit einer Gurtpflicht den Menschen die Freiheit nimmt zu entscheiden, welches Risiko sie eingehen wollen. Die Überlastung des Gesundheitssystems kann es nicht sein. Es gibt unzählige Verhaltensweisen, welche die Gesundheit gefährden oder sie fördern, und die nicht reglementiert werden, obwohl hier zum Beispiel ein Rauch- oder Alkoholverbot kein neues Risiko nach sich ziehen würde.

Bei der Impfpflicht haben wir wieder das gleiche Problem, wie bei einer Gurtpflicht. Angenommen, eine Impfung schützt wirksam, dann verhindert sie Krankheit bei vielen, während andere, wenige (hoffentlich!) durch die Nebenwirkungen der Impfung zu Schaden kommen. Auch hier gibt es Todesfälle auf beiden Seiten. Und auch bei der Impfpflicht weiß man – wie bei der Gurtpflicht – vorher nicht, wen die Entscheidung wie treffen wird.

Interessanterweise war der Streit um die Einführung der Gurtpflicht weniger heftig als der heutige um die Impfpflicht gegeg COVID-19. Zwei Aspekte machen die Frage der COVID-Impfung kontroverser: Erstens kann das Anlegen des Sicherheitsgurts – anders als eine Impfung – rückgängig gemacht werden. Zweitens sollte mit der COVID-Impfung eine Herdenimmunität, wie genau bei den Massern, erreicht werden. Das Argument ist: Mit der individuellen Entscheidung für oder gegen die Impfung gefährdet oder schützt man auch andere. Die Hoffnung auf eine Herdenimmunität wird allerings mit jeder neuen Virusvariante und jedem neuen Impfversagen kleiner.

Bei der Gurtpflicht und bei der Impfpflicht wird die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt. Das ist ein Aspekt, der beim Weichensteller-Problem gar nicht auftritt. Während das Weichensteller-Problem bis heute kontrovers diskutiert wird und Zustimmungsraten für die eine oder andere Entscheidung schon durch kleinste Änderungen in diesem Gedankenexperiment stark schwanken, wurde die Gurtpflicht trotz Freiheitseinschränkung ohne große gesellschaftliche Auseinandersetzung eingeführt. Bei der Impfpflicht ist das jetzt anders.

Fazit

Dass um die Impfpflicht heute kontroverser gestritten wird, als damals um die Gurtpflicht, das gibt mir Hoffnung. Das Bewußtsein darüber, was Freiheit bedeutet, und wann sie eingeschränkt wird, das scheint zu steigen.