Corona-Exit: Wie?

Hier in Taiwan wird bis heute (4. April 2020) versucht, das Coronavirus aus dem Land zu halten. Trotz enger Verflechtung mit China, scheint das zu gelingen. 5 Todesfälle und 348 Infizierte (bis gestern) nachdem der erste Fall schon über 2 Monate her ist (21. Januar), das ist überschaubar.

Aber zu welchem Preis? Mittlerweile sind etwa 50.000 Menschen in Quarantäne. Die überwiegende Mehrheit davon sind Leute, die vom Ausland zurückgekehrt sind. Jeder, der aus dem Ausland kommt wird mittlerweile 14 Tage isoliert. Ausländer dürfen nicht mehr einreisen.

Ansonsten geht das Leben hier weitestgehend seinen normalen Gang. Nachdem die Schulen im Februar zwei Wochen geschlossen blieben, läuft auch die Schule ohne große Einschränkungen. Beim Einlass werden die Hände mit Alkohol desinfiziert und die Körpertemperatur auf der Stirn gemessenen. Wer Fieber hat muss zu Hause bleiben. Einige Schüler tragen jetzt Schutzmasken. Die sind zwar rationiert aber es gibt genug. In Zug trägt praktisch jeder eine Maske. Und es gibt noch viele, viele Details die helfen sollen, sowohl Infektionen zu vermeiden als auch mögliche Infektionen aufzuspüren. Wirklich einschränkend ist allerdings nur das Verbot von Veranstaltungen.

In Deutschland wurde die Strategie, möglichst alle Infizierten zu isolieren, schon mit dem ersten Fall in Heinsberg aufgegeben, der auf einer Karnevalssitzung gewesen war.

Nun lautet die Strategie nicht mehr eindämmen, sondern die Ausbreitung so weit zu verlangsamen, dass die Krankenhäuser nicht überlastet werden.

Das heißt aber auch, (fast) alle müssen die Krankheit durchmachen! Denn anders wird man nicht immun. Das ist wie eine Kinderkrankheit für die es keine Impfung gibt. Und ohne immune Bevölkerung können wir die Beschränkungen nicht aufheben ohne dass die Krankenhäuser überlastet würden. Merkel hat das mit ihrer Aussage 70% der Bevölkerung würden sich infizieren schon angekündigt. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um die Tragweite dieser Aussage zu begreifen. Das war versteckte Ankündigung und Eingeständnis, dass sie die Epidemie nicht aufhalten würde, sondern nur verlangsamen.

Nun stibt nicht jeder am Corona-Virus. Die allermeisten erkranken nicht schwer. In Deutschland liegt die Sterblichkeit bei knapp 5% wenn man den Quotienten aus aktuell 1.277 Todesfällen zu 26.888 Genesenen berechnet. Nun nehme ich aber an, dass mindestens so viele Corona-Patienten schwer erkranken und in einem Bett mit Beatmungsgerät in einer Intensivstation behandelt werden müssen, wie an der Krankheit sterben. Wer an einer Lungenkrankheit stirbt muss daran schwer erkrankt gewesen sein. Logisch. Das sind dann auch ca. 5% der Infizierten oder bei gut 80 Millionen Einwohnern in Deutschland ca. 4 Millionen Menschen.

Aus dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) entnehme ich, dass in Deutschland ca. 10.000 Intensivstarionsbetten für Corona-Patienten zur Verfügung stehen. Wenn ich annehme, dass ein schwer erkrankter Corona-Patient im Durchschnitt 1 Woche intensivstationär behandelt werden muss, heißt das, es braucht 400 Wochen um 4 Millionen Menschen in 10.000 Intensivbetten zu behandeln. Das sind ca. 8 Jahre!

Selbst wenn die Kapazitäten der Intensivstationen langsam aufgestockt werden (Es wurden 10.000 neue Beatmungsgeräte bestellt. Die Fertigung und Auslieferung erstreckt sich über ein ganzes Jahr. Das geht nicht von heut auf morgen.) und die Herdenimunität wahrscheinlich deutlich ansteigt wenn mal die Hälfte der Bevölkerung die Krankheit überstanden hat müssten die Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Corona-Virus eher zwei als ein Jahr beibehalten werden. Eine ernüchternde Aussicht: Zwei Jahre keine Schule, kein Urlaub, keine Versammlungen, keine Veranstaltungen, kein Restaurant, keine Besuche und für viele Menschen ein sehr verändertes Berufsleben (z.B. Zeitarbeit, Jobverlust oder Arbeiten von zuhause aus). Corona-Exit 2022: Wer traut sich das vorzustellen?

Dieses Szenario ist natürlich sehr vage weil ich viele Faktoren nicht genau kenne. Das ist mir klar. Aber nur die grobe Richtung ist schon krass genug.

Dabei ist noch nicht abzusehen, ob die aktuellen Maßnahmen ausreichen um die Ausbreitung des Virus so stark auszubremsen, dass die Krankenhäuser nicht doch überlastet werden. Bisher steigt die Zahl der täglich Neuinfizierten ja weiter an. Eine Krähe macht noch keinen Sommer und zwei, drei Ausreißer bedeuten noch keine Kehrtwende in der Statistik.

Überraschenderweise bleibt aber gerade die Hoffnung, dass wir eine hohe Dunkelziffer bei den Infizierten haben vielleicht ein Lichtblick.

Es werden ja vor allem Erkrankte auf das Corona-Virus getestet. Infizierte mit milden Krankheitsverläufen könnten so in großer Zahl genesen und das Verhältnis von Genesenen zu Todesfällen zugunsten einer niedrigeren Sterberate verschieben. Oder anders gesagt: Unterhalb des Radars der Statistik, die auf Testergebnissen basiert, könnten sich viele unbemerkt angesteckt und immunisiert haben. Dann würde die Bevölkerung schneller immunisiert und man könnte die aktuellen Beschränkungen früher aufheben, ohne dass die Krankenhäuser überlastet würden. Eine Schätzung vom Imperial College COVID-19 Response Team nennt 0,72% in Deutschland für den 28. März. Das wären mehr als das zehnfache der 53.340 Fälle welche die offizielle Statistik für den 28. März aufweist. Das hieße, statt in zwei Jahren, könnten wir in zwei bis drei Monaten mit dem Corona-Exit rechnen.

In China haben die Ausgangssperren auch etwa zwei Monate gedauert. Allerdings nur in der Provinz Hubei. Was im Rest des Landes passiert ist und passiert, das weiß ich nicht.

Zurück nach Taiwan. Wenn es hier gelingt, das Virus weiter draußen zu halten, dann haben wir bald eine coronafreie Insel im weltweiten Viren-Meer. Und eine Bevölkerung die sich zwar nicht infiziert aber auch nicht immunisiert. Fragt sich wie lange Taiwan das durchhalten will. Letztlich isoliert man sich vom Rest der Welt. Und das auf unbestimmte Zeit. Corona-Exit nicht in Sicht. Eine Sackgasse?

Bleibt die hypothetische Frage, ob Deutschland auch Taiwans Strategie hätte fahren können. Da sage ich klar: Nein.

Hier zeigt sich die besondere Lage eines Inselstaates. Was in Taiwan die Einschränkungen im täglichen Leben minimiert hat, das hätte in Deutschland vielleicht noch krassere Verwerfungen bedeutet als was Deutschland jetzt erlebt. Und das ohne Aussicht auf ein Ende. Das hätte Europa zerbrochen. Merkel hat klar gesehen: Das schaffen wir nicht.

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